Eine würdevolle Schule in Lappland

Kolumne von Rahel Tschopp

Da, wo die Sonne im Sommer nicht untergeht und im Winter kaum den Horizont berührt, wo Rentiere zahlreicher sind als Menschen, auch da sind sie zentrale Orte: die Schulen.

Rau und weit

Ich bin in Lappland, auf der finnischen Seite. Ein Landstrich, rau und weit, der Wind trägt die Kälte. Inari liegt nördlich des Polarkreises, es ist flächenmässig die grösste Gemeinde in Finnland. Über 7000 Menschen leben hier, verstreut über rund 17’000 Quadratkilometer. Fast ein Drittel von ihnen gehört zu den Sami, ein indigenes Volk. Traditionelle Rentierzucht und moderner Tourismus geben sich hier die Hand. Und mittendrin: die Schule.

Die Schule in Inari, ein Holzbau, der sich in die Landschaft einfügt.

Der Wald als Lieblingsort

Ich bekomme Augenwasser, als ich mich ins Schulgelände bewege. Der Aussenraum ist ein «Kivimetsä», ein Steinwald, geheimnisvoll und doch einladend. Kinder springen von Stein zu Stein, lassen Trollhäuschen entstehen, verschwinden kichernd ins Versteckspiel. Im Zentrum befindet sich eine Feuerstelle. Die Schulleiterin erzählt, dass dieses Wäldchen der beliebteste Ort bei den Kindern ist. Ein Ort – frei von künstlichem Spielzeug.

Eine Kota mit Feuerstelle

Neben dem Wäldchen ein Hartplatz und verschiedene Aussenzonen. Zentral: eine Kota, ein traditionelles rundes Haus aus Holz, in dem ein Feuer lodert. Heute wärmen sich die Ältesten darin, sie haben «Draussenschule».

Das Schulhaus steht daneben – ein wunderbarer Holzbau. Mehrere Eingänge führen hinein, je nach Alter der Kinder. In Finnland gibt es keine Trennung nach Primar- oder Oberstufe, keine Selektion – alle gehen denselben Weg, Seite an Seite.

Grosse Fenster zum Fluss

Im Erdgeschoss öffnet sich die Mensa, es ist das Herzstück des Baus. Kein strenges Einerlei, sondern Vielfalt. Runde, eckige, hohe, niedrige Tische, kleine Nischen und weite Flächen. Durch die grossen Fenster rauscht der Fluss vorbei – lebendig, sprudelnd. Im Zentrum des Raumes: Eine grosse, breite Holztreppe.

Gelebte Vielsprachigkeit

Inari ist viersprachig: Finnisch und drei samische Sprachen. Jedes Kind darf in seiner Familiensprache lernen, dies ist in Finnland gesetzlich verankert. Das führt zu winzigen Klassen – zwei bis maximal acht Kinder. Doppelklassen helfen, dass diese Zahl überhaupt zustande kommt. Das Haus ist als Cluster gebaut: kleine Klassenzimmer, grössere Gemeinschaftsflächen. Die verschiedensprachigen Parallelklassen lernen alle im gleichen Cluster. Hier baden die Kinder in den Sprachen, wechseln von einer zur anderen. Eine kleine Küche steht da, das Lavabo in Kinderhöhe – das scheint selbstverständlich. Die Beschriftungen sind immer mehrsprachig, es gibt keine «dominante» Sprache.

Der Begriff «Würde» lässt mich nicht mehr los. Architektur – Haltung – Pädagogik: Sie geben sich hier in Inari die Hand.


Zu Rahel Tschopp

Rahel Tschopp begleitet mit ihrer Denkreise GmbH Schulen, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie kann, soll und muss Schule heute sein? In ihrer Kolumne für LerNetz Schule gibt sie persönliche Einblicke in ihre Lernreisen zu Volksschulen in der ganzen Schweiz.

In ihrer beruflichen Laufbahn war Rahel Tschopp Primarlehrerin, schulische Heilpädagogin sowie Schulleiterin. In Hamburg studierte sie Change Management. Sie arbeitete während vieler Jahre an der PH Zürich in der Weiterbildung von Lehrpersonen, zuletzt als Leiterin des Zentrums Medienbildung und Informatik. 2021 hat sich Rahel Tschopp mit ihrer Denkreise GmbH selbständig gemacht.