Auf dem Schulweg verbringen Kinder Zeit mit sich und Gleichaltrigen, ohne erwachsene Aufsicht. Dabei lernen sie, selbständig zu sein. Der Weg birgt aber auch Risiken. Wie Familien und Schulen das Spannungsfeld gemeinsam bewältigen können.
Das Mittagessen steht dampfend auf dem Tisch, aber von Maxim keine Spur. Eigentlich müsste er längst zuhause sein. Wo steckt er nur? In diesem Moment fliegt die Tür auf. «Halloooo, ich bin noch ein Stück mit Noah gegangen…Was gibt’s?». Eine Situation, die sich so ähnlich wohl tausendfach abspielt und bei Eltern regelmässig für ein Wechselbad der Gefühle sorgt.
Jedes zehnte Kind wird chauffiert
Alle Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder selbständig werden. Den Schulweg alleine zu gehen, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wäre: Denn viele Eltern machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder. Und nicht wenige fahren sie deshalb mit dem Auto zur Schule. Jedes zehnte Kind wird zur Schule chauffiert. Das sorgt an manchen Orten für ein gefährliches Verkehrsaufkommen rund um die Schule. Ganz unbegründet ist die Sorge der Eltern jedoch nicht: Gemäss einer Medienmitteilung der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu vom August 2023 verunfallen in der Schweiz jährlich 900 Kinder und Jugendliche zu Fuss, mit dem Trotti, dem Velo oder Mofa. 40% davon auf dem Schulweg.
Für Kinder ein wichtiger Freiraum
Die Perspektive der Kinder hingegen ist eine ganz andere. Dies zeigt eine Studie der Pädagogischen Hochschule Wallis vom März 2023: Die Forschenden befragten nicht nur Schulen und Eltern zum Schulweg, sondern liessen die Kinder selbst zu Wort kommen. Sie liessen sie auch den Schulweg zeichnen und begleiteten sie auf ihrem Weg. Dabei kam heraus, dass der Schulweg für Kinder viel mehr als ein Standortwechsel von A nach B ist. Die Kinder tragen in dieser Zeit Konflikte mit anderen aus, teilen Geheimnisse, entwickeln Routinen, fordern sich gegenseitig heraus und brechen manchmal auch Regeln. So lernen sie auf dem Schulweg, Teil der Gesellschaft zu werden.
Zusammen geht es besser
Klar ist also: Für Kinder ist der Schulweg ein wichtiges Stück Lebenserfahrung. Gleichzeitig birgt er gewisse Risiken. Wie geht man mit diesem Spannungsfeld um? Grundsätzlich liegt der Schulweg in der Verantwortung von Eltern und Erziehungsberechtigten. Wenn Eltern und Schule jedoch zusammenspannen, lassen sich die Herausforderungen zum Vorteil aller besser bewältigen.
«Ich kann das. Ich geh zu Fuss.»
Ein Beispiel einer solchen Zusammenarbeit ist die Kampagne «Ich kann das. Ich geh zu Fuss». Sie richtet sich an Kindergartenkinder. Die Eltern erhalten im Frühsommer vor der Einschulung ihrer Kinder einen Schulweg-Comic, der ihnen hilft, mit den Kindern den Schulweg vorzubereiten. Die Lehrpersonen können sich mit zusätzlichem Material wie Leiterlispiel, Stickerbogen und Plakaten fürs Klassenzimmer eindecken. Und nach dem Verkehrsunterricht mit den Instruktor*innen erhalten die Kinder einen magnetischen «Leuchtorden» zum Anstecken, der sie in ihrer Selbständigkeit bestärkt.
Köniz zieht positive Bilanz
Die Kampagne wird seit einigen Jahren in mehreren Gemeinden der Deutschschweiz durchgeführt. Im Herbst 2023 startete auch die Gemeinde Köniz im Kanton Bern damit. Gemeinderat Christian Burren zieht rund ein halbes Jahr später eine positive Bilanz: «Wir führen zwar keine Statistik, aber die Schulleitungen melden uns zurück, dass sie weniger Elterntaxis wahrnehmen und die Rücksichtnahme im Verkehr besser ist.» Über die Kampagne hinaus braucht es laut Burren weitere Massnahmen: «dies können Anreize sein, aber auch Infrastruktur, Signalisation oder Strassenmarkierungen vor Schulanlagen. Wie genau diese aussehen und welche Wirkung diese haben, dazu führt die Gemeinde Köniz aktuell einen Pilotversuch an einer Schule durch.» «Ich kann das. Ich geh zu Fuss» bleibt Teil des Massnahmenmix und wird in Köniz künftig regelmässig durchgeführt. Wichtig ist Burren dabei auch, dass die Lehrpersonen in Köniz «mit gut aufbereitetem, pfannenfertigem und wenig aufwändigem Unterrichtsmaterial unterstützt werden».
Material für Lehrpersonen
Auf der Plattform verkehrsbildung.ch des Fonds für Verkehrssicherheit (FVS) finden Lehrpersonen, Instruktoren und Eltern eine Fülle an Material für den Verkehrsunterricht. Die Materialien umfassen die Themen «Ich als Fussgänger», «Unterwegs mit dem Velo», «Verantwortung im Strassenverkehr» und «Regeln und Vorschriften» und sind im Lehrplan verortet.