Hinein in die gute Stube

Kolumne von Rahel Tschopp

Ich komme mir vor, als würde ich in die Stube einer Grossfamilie eintreten. Der Raum zieht mich magisch an. Ich stehe an der Eingangstür, mein Blick fällt auf zwei runde Arbeitstische, rundum stehen verschiedene Stühle. Eine Stehlampe beleuchtet die Arbeitsfläche. Im Hintergrund sehe ich eine blau bemalte Wand. Entlang der Wand sind einige Arbeitsplätze eingerichtet. Rechts von mir steht ein Regal. Verschiedene Pflanzen und Lampen bringen Leben und Licht hinein.

Ich höre leise Kinderstimmen. Eine Mittelstufenklasse der öffentlichen Schule in Adliswil hat sich im Kreis versammelt. Der Kreis ist das Herz ihres Klassenzimmers. Immer wieder trifft sich die Klasse dort.

Das Zimmer ist klein und trotzdem strukturiert. Überall stehen Regale als Raumteiler. Pflanzen und Lampen aller Art prägen das Raumklima. In den Regalen sind Spiele, Bücher und weitere Lernmaterialien versorgt. Die Kinder dürfen diese selbständig und ohne zu fragen nutzen. Klar ist: Sie müssen die Materialien nachher wieder an den gleichen Ort zurücklegen.

Auch eine kuschelige Lese-Ecke hat es. Nebenan steht ein langer Tisch, an dem acht Kinder gemeinsam lernen. Der Fenstersims ist zugleich Arbeitsbereich mit direktem Blick ins Grüne. Zwischen den Arbeitsplätzen: Natürlich sind auch da wieder Pflanzen.

In einer Ecke ist der Arbeitsplatz der Lehrerin Regula Neck. Sie verzichtet auf das grosse Lehrerinnenpult. Ihr Arbeitsbereich ist klein, ich entdecke ihn erst auf den zweiten Blick. Die Primarlehrerin mit einem Masterabschluss im Bereich Public Health hat das Klassenzimmer mit viel Herzblut eingerichtet. Aus der Forschung weiss sie, dass die Gestaltung der Arbeitsräumen einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden hat. Sie sagt: «Dazu gehört zum Beispiel der Umgang mit Licht, Materialien und Rückzugsmöglichkeiten.»

Die privaten Materialien der Kinder sind in einem ehemaligen Schrank versorgt: Die Schranktüren wurden entfernt, ein Regal eingebaut. Die Sitzordnung für die Arbeitsplätze ist frei, nur im Sitzkreis ist klar, wer wo sitzt.

Ein solcher Lernraum strahlt Ruhe und Geborgenheit aus. Er zeigt wortlos auf, dass hier die Vielfalt gelebt und geschätzt wird. Und: Es ist auch in kleinen Räumen möglich, durch die Möblierung verschiedene Lernsettings auszusprechen. Was es dafür braucht, ist ein wenig Mut. Mut, sich von den bisherigen Möbeln und Vorstellungen zu trennen.


Zu Rahel Tschopp

Rahel Tschopp begleitet mit ihrer Denkreise GmbH Schulen, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie kann, soll und muss Schule heute sein? In ihrer Kolumne für LerNetz Schule gibt sie persönliche Einblicke in ihre Lernreisen zu Volksschulen in der ganzen Schweiz.

In ihrer beruflichen Laufbahn war Rahel Tschopp Primarlehrerin, schulische Heilpädagogin sowie Schulleiterin. In Hamburg studierte sie Change Management. Sie arbeitete während vieler Jahre an der PH Zürich in der Weiterbildung von Lehrpersonen, zuletzt als Leiterin des Zentrums Medienbildung und Informatik. 2021 hat sich Rahel Tschopp mit ihrer Denkreise GmbH selbständig gemacht.