«Viele Kinder beherrschen ihr Velo nicht»

Peter Miescher, Fachverantwortlicher Verkehrsprävention der Kantonspolizei Bern, über die Risiken im Verkehr und wie Lehrpersonen helfen können, die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. 

Herr Miescher, wie steht es um die Verkehrssicherheit von Kindern und Jugendlichen? 
Über einen längeren Zeitraum betrachtet, ist der Schulweg für Kinder und Jugendliche anspruchsvoller geworden: Der Verkehr nimmt zu und es kommen neue Fahrzeugtypen hinzu wie E-Bikes und Scooter. Das birgt vor allem Risiken für den Langsamverkehr. Als Mitfahrende in motorisierten Fahrzeugen sind Kinder hingegen sicherer unterwegs. Sicherheitssysteme wie die Gurtentragpflicht (Anm. der Red: 1981 eingeführt) oder Airbags haben deutliche Verbesserungen gebracht.

Warum verunfallen Kinder und Jugendliche auf der Strasse?
Ein Problem von heute ist, dass viele Kinder ihr Velo nicht beherrschen. Viele Eltern chauffieren ihre Kinder mit dem Auto zur Schule oder zu Freizeitaktivitäten und fahren auch selbst nicht Velo. So haben Kinder kaum Gelegenheit, das Velofahren zu üben. 

Was hilft Kindern und Jugendlichen, sich im Verkehr sicher zu bewegen?
Praxis ist das Wichtigste. Kinder müssen üben, üben, üben. Und das geht nicht ohne die Unterstützung der Erziehungsberechtigten. Ich appelliere hier vor allem an die Eltern, aber auch Lehrpersonen können mit wenig Aufwand viel bewirken. 

Welchen Beitrag können Lehrpersonen leisten?
In der Primarschule ist es vor allem wichtig, die Beherrschung des Velos zu üben. Warum nicht mal eine Sportstunde nutzen, um das Bremsen, Lenken und Spurhalten zu trainieren? Material braucht es dazu nicht viel. Ein paar Seile, Leitkegel und Kreide reichen schon, um auf dem Schulhausplatz einen Parcours aufzustellen. Auch die Verkehrsgärten sind in dieser Hinsicht Gold wert. Kinder und Jugendliche können dort in einer geschützten Zone das Gelernte anwenden.

Und in der Oberstufe?
In der Oberstufe kommen neue Themen wie Drogen, Alkohol und Medikamente dazu. Auch hier würde es helfen, wenn Lehrpersonen das Thema im Vorfeld des Verkehrsunterrichts aufnehmen, bevor Instruktoren von der Polizei vorbeikommen. 

Das Verkehrsgeschehen verändert sich. Was kommt noch auf uns zu? 
Die Mobilität nimmt generell zu. Die Menschen sind auch noch im Alter unterwegs, fahren zum Beispiel mit 70 Jahren noch E-Bike. Auf der anderen Seite sind heute Kinder erst vier Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal den Weg in den Kindergarten bestreiten. Wir haben also eine grosse Spannbreite an Verkehrsteilnehmenden und eine zunehmende Verkehrsdichte. Autos sind zudem heute ausgestattet mit vielen Kommunikationsmöglichkeiten, die vom Verkehrsgeschehen ablenken. 

Wie gehen Sie die Herausforderungen an?
Wir wünschen uns ein besseres Zusammenspiel aller Verantwortlicher. Im Moment versuchen wir vor allem, die Eltern ins Boot zu holen. Eltern haben eine starke Vorbildfunktion und die Möglichkeit, mit ihren Kindern Situationen im Verkehr zu üben. Gerade bei kleinen Kindern ist es wichtig, geduldig zu sein und sich Zeit zu nehmen. Die Freude zu erleben, wenn Kinder den Schulweg alleine meistern, ist der beste Lohn dafür!

Tipps für Lehrpersonen

  • Auf der Plattform verkehrsbildung.ch des Fonds für Verkehrssicherheit (FVS) finden Lehrpersonen, Instruktoren und Eltern eine Fülle an Material für den Verkehrsunterricht.
  • Der TCS stellt Schulen gratis einen Geschicklichkeits-Parcours fürs Velo zur Verfügung. Er kann reserviert und in Emmen, Ittigen, Fontaines, Cossonay oder Rivera abgeholt werden.
  • Diverse Kantone stellen eigene Angebote zur Verfügung. Informationen finden sich auf den entsprechenden Websites der Kantonspolizei.
  • Mit Velolab entdecken Klassen der Sek I und II das Velo als Transportmittel und befassen sich mit Sicherheit, Mechanik, Gesundheit und Klima.

Verkehrsinstruktion im Kanton Bern

Peter Miescher ist seit über 20 Jahren bei der Kantonspolizei Bern und seit mehr als 16 Jahren im Fachgebiet der Verkehrsprävention tätig. Im Kanton Bern besuchen rund 35 Verkehrsinstruktorinnen und -instruktoren regelmässig Schulklassen und zeigen den Kindern, wie sie sich im Verkehr richtig verhalten. Sie führen auch Veloprüfungen mit Schulklassen durch. Der Radfahrertest wurde durch LerNetz konzipiert und besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Er findet in der Regel in der 5. Klasse statt.