Firmen wie OpenAI haben der breiten Öffentlichkeit quasi über Nacht Tools in die Hand gegeben, um mit Hilfe generativer künstlicher Intelligenz Texte, Bilder, Musik, Audio und Videos zu erstellen. Was bedeutet das für die Schule? Wir ordnen ein und ermutigen zur kritischen Auseinandersetzung.
Ende 2022 stellte OpenAI den Chatbot ChatGPT für die Allgemeinheit zur Verfügung und brachte dank seiner einfachen und vielseitigen Nutzung generative künstliche Intelligenz (nachfolgend generative KI genannt) erstmals in die breite Öffentlichkeit. Seither geht es Schlag auf Schlag: Viele weitere generative KI-Anwendungen folgten wie zum Beispiel die Chatbots Google Gemini und Claude oder die Bildgeneratoren Midjourney oder Dall-E. Dank dieser Tools lassen wir heute ohne grosse Programmier- und sonstige Vorkenntnisse Texte, Bilder, Musik, Audio und Videos erstellen. Zunehmend werden die Technologien auch in bestehende Programme aus der Office- oder Bildbearbeitungs-Palette eingebaut. Generative KI boomt und Expert*innen attestieren den Entwicklungen der letzten Monate die gleiche tiefgreifende Bedeutung für unsere Gesellschaft wie die breite Zugänglichkeit des Internets oder die Einführung des Smartphones. Aber was steckt eigentlich hinter der generativen KI? Und welche Bedeutung könnte sie für den Schulalltag haben?
Was ist generative künstliche Intelligenz?
Generative KI ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für «generative Machine-Learning-Systeme». Diese sind darauf ausgelegt, eigenständig neue Inhalte in Form von Text, Audio, Bildern oder Videos zu erschaffen. Dazu nutzen die Systeme umfangreiche Datensätze, um Strukturen und Muster zu erlernen, auf denen die eigenen Erzeugnisse später basieren. Voraussetzung für generative KI ist maschinelles Lernen. Damit sind verschiedenartige Modelle gemeint, die selbständig Daten verarbeiten, um daraus zu lernen. Wer generative KI sinnvoll nutzen will, sollte sich auch mit deren Funktionsweise auseinandersetzen.
Die Bedeutung von generativer KI für die Schule
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung von generativer KI auch für Bildung und Schule vielfältig und tiefgreifend sein wird. In welcher Form, bleibt offen. Eine Vielzahl an Einzelpersonen, Initiativen und Unternehmen sind zurzeit daran, die Möglichkeiten und Grenzen auszuloten.
Wir fassen nachfolgend zusammen, wie generative KI aus unserer Sicht aktuell das Lehren und Lernen unterstützen kann, welche Voraussetzungen wichtig sind und welche Herausforderungen sich für den Unterricht ergeben.
Unterstützung und Entlastung der Lehrpersonen
Generative KI hat das Potenzial, Lehrpersonen zu entlasten: Es kann zeitaufwändige und kognitiv belastende, jedoch einfache, strukturierte Tätigkeiten automatisieren. So können generative Systeme zum Beispiel als Inspirationsquelle oder Rechercheassistenz bei den Unterrichtsvorbereitungen unterstützen. Die Entlastung der Lehrkräfte durch generative KI schafft mehr Raum für persönliche Interaktionen und individuelle Förderung der Lernenden und das Vermitteln von Schlüsselkompetenzen.
Unterstützung der Lernenden durch personalisiertes Lernen
Generative Systeme bergen im Bereich Üben und Anwenden ein grosses Potenzial. Einerseits können Lehrpersonen an den Lernstand angepasste Aufgaben formulieren und so auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Lernenden eingehen. Auch ermöglichen generative Systeme ein unmittelbares Feedback an die Schüler*innen, auch wenn gerade keine Lehrperson zur Stelle ist. Aus der Hattie-Studie ist bekannt, dass unmittelbares Feedback ein zentraler Faktor im Lernprozess ist.
Voraussetzungen: verschiedenen Perspektiven einnehmen
Wichtig ist, dass die neuen Technologien in der Schule offen, aber kritisch betrachtet werden. Ihre Funktionsweise sollte im Unterricht aus verschiedenen Perspektiven gemäss dem «Frankfurter Dreieck» thematisiert werden: aus einer technologischen (Wie funktioniert das?), einer anwendungsorientierten (Wie nutze ich das?) und einer gesellschaftlichen Perspektive (Welche Auswirkungen hat das?).
Werden beispielsweise im Unterricht mittels Bildgeneratoren Sprichwörter visualisiert, sollen die Lernenden erstens verstehen, wie ein Diffusionsmodell zur Bildgenerierung funktioniert und was die Basis für einen funktionierenden Bildgenerator ist – Stichwort Trainingsdaten. Sie sollen zweitens einen Bildgenerator zielführend bedienen können bzw. lernen, welche Texteingaben («Prompts» genannt) zum gewünschten Resultat führen. Und sie sollen drittens reflektieren, was die Nutzung für die Urheber der Trainingsdaten bedeutet und wie künstlich generierte Bilder Meinungen beeinflussen können.
Unterrichtsbeispiel: Sprichwörter mit Bildgeneratoren umsetzen (generiert mit Midjourney):
Herausforderungen: Medienkompetenz bleibt wichtig
Nebst datenschutzrechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen gibt es im Unterricht vor allem auch inhaltliche Herausforderungen zu bewältigen.
Je nach Trainingsdaten können KI-Modelle unerkannte Stereotype und Vorurteile enthalten. Diese können in den generierten Inhalten wieder zum Vorschein kommen oder gar verstärkt werden und zu Diskriminierung führen. Dies gilt es bewusst zu machen und einen Umgang damit zu lernen.
Die Funktionsweise von generativen KI-Modellen ist oft so komplex und undurchsichtig, sodass es selbst für Fachpersonen unmöglich ist, die Entstehung eines Inhaltes auf der Basis einer Texteingabe nachzuvollziehen.
Je besser ein KI-Modell, desto schwieriger wird es, KI-generierte Inhalte von menschengenerierten Inhalten zu unterscheiden. Die Folge daraus: täuschend echte Bilder, Videos und Audios. Sogenannte Deepfakes können missbraucht werden, um Menschen zu desinformieren und zu manipulieren und Meinungen zu beeinflussen. Auch hier gilt es Lernende für einen kritischen Umgang zu sensibilisieren.
Und nicht zuletzt können KI-Systeme «halluzinieren». Halluzinationen von Sprachmodellen erscheinen auf den ersten Blick plausibel, basieren aber auf Lücken in den Trainingsdaten, die zu Falschaussagen führen. Solche Halluzinationen können auch bei anderen generativen Systemen auftreten.
Fazit und Zukunftsblick
Generative KI-Systeme haben das Potenzial, zu vielfältig einsetzbaren Assistenzsystemen für Lehrpersonen und Lernende zu werden. Die aktuellen Entwicklungen lassen weitere Meilensteine in Kürze erwarten. Ob das Prompting – also die zielführende Eingabe von Befehlen an die Systeme – tatsächlich eine Zukunftskompetenz ist, die in Schulen ausgebildet werden soll, bleibt im Moment schwierig abzuschätzen. Auch die Frage, ob Herausforderungen wie Transparenz, Stereotype und Urheberrechtsverletzungen in den Trainingsdaten in den Griff zu bekommen sind, bleibt offen. Tatsache ist aber, dass die Systeme hier sind, um zu bleiben. Wir sollten uns daher auch in der Schule neugierig und gleichzeitig kritisch damit auseinandersetzen und die Potenziale, die sich fürs Lernen und Lehren ergeben, nutzen.
Workshops für Lehrpersonen
Seit November 2023 bietet LerNetz Schule mit Unterstützung von Swisscom Einführungsworkshops zum Thema «generative künstliche Intelligenz im Schulalltag» an. In 90 Minuten versuchen wir, das Thema für Neulinge aus drei Perspektiven zu beleuchten und das Sammeln erster Erfahrungen in der Anwendung zu ermöglichen:
- Du hast eine Idee, was generative künstliche Intelligenz ist und wie das dich und deine Lernenden betrifft.
- Du verstehst, wie künstliche Intelligenz im und um den Unterricht eingesetzt werden kann.
- Du erhältst Anregungen, wie du gesellschaftliche Fragestellungen rund um KI mit deinen Lernenden thematisieren kannst.
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